
Politische Auseinandersetzung um die naBe-Kriterien
Die nachhaltige öffentliche Beschaffung gilt seit Jahren als Vorzeigeprojekt: Mit dem Aktionsplan nachhaltige Beschaffung (naBe) verpflichtete sich die Bundesregierung 2021, beim Einkauf von Lebensmitteln auf Qualitätsstandards wie Bio-Anteile, Tierwohlregelungen und Regionalität zu achten. Öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Spitäler oder Justizanstalten sollen dadurch eine Vorbildfunktion übernehmen.
Nun wird das Regelwerk überarbeitet. Was auf den ersten Blick nach einer notwendigen Aktualisierung klingt, entwickelt sich zu einer politischen Kontroverse. Denn zentrale Fragen – von der Höhe der Bio-Quoten bis zu Mindeststandards in der Tierhaltung – sind plötzlich wieder offen.
Grünen-Kritik: Gefahr für Bio-Betriebe und Tierwohl
Die Grünen-Abgeordnete Olga Voglauer kritisiert, dass die derzeitige Evaluierung die ursprünglichen Ziele des naBe konterkariere. In einer parlamentarischen Anfrage warnt sie vor einer „Verwässerung“: „Mit der Überarbeitung drohen gerade die bestehenden Bio- und Tierwohl-Vorgaben eingespart zu werden. Wenn sich die Kontrolle nur noch auf Mindestkriterien beschränkt, wird das kaum eine Weiterentwicklung ermöglichen.“
Sie verweist dabei auf konkrete Beispiele: Der verpflichtende Anteil von 30 Prozent Bio-Lebensmitteln, die Vorgabe, dass Rindfleisch nicht aus Vollspaltenhaltung stammen darf, sowie Quotenregelungen für Tierwohl-Schweinefleisch könnten im Zuge der Überarbeitung infrage gestellt werden.
Minister Totschnig setzt auf „Praxistauglichkeit“
Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) antwortet auf die Kritik mit dem Hinweis, dass die Überarbeitung mehr „Verständlichkeit“ und „Praxistauglichkeit“ bringen solle. Monitoring und Kontrolle sollen sich künftig stärker auf Mindeststandards beschränken. Zudem werde geprüft, wie Lebensmittelabfälle reduziert werden können.
Während er betont, dass die Vorgaben „konsequent verfolgt“ würden, bleibt offen, wie hoch die Bio-Quoten tatsächlich angesetzt werden und ob Tierwohlregelungen in gleichem Umfang bestehen bleiben. Kritiker sehen darin den Versuch, ambitionierte Ziele zugunsten von leichterer Umsetzbarkeit zu reduzieren.
Ministerin Schumann verweist auf fehlende Zuständigkeit
Noch deutlicher ist die Zurückhaltung im Ressort von Tierschutzministerin Korinna Schumann (SPÖ). Sie verweist mehrfach auf mangelnde Zuständigkeit, obwohl gerade Tierwohl-Bestimmungen Teil der naBe-Kriterien sind. Im Fachausschuss sei ihr Ministerium zwar durch eine Mitarbeiterin vertreten, konkrete Aussagen zu möglichen Änderungen könne sie jedoch nicht treffen.
Für Voglauer ist das eine „erschreckende Missachtung“ der Zuständigkeit: „Das Ressort könnte klar Position beziehen, etwa für die Beibehaltung der Tierwohlstandards. Stattdessen wird Verantwortung abgeschoben.“
Streitfall Justizministerium: Gelöschte Weisungen
Besonders irritierend wirkt der Fall des Justizministeriums. Dort waren bis Mai 2025 Weisungen zur Umsetzung der naBe-Kriterien auf der Website abrufbar – unter anderem für Justizanstalten. Zwischen Mai und Juni verschwanden diese Dokumente, während Weisungen anderer Ministerien weiterhin online zugänglich sind.
In einer Folgeanfrage will Voglauer wissen, ob die Vorgaben nicht nur gelöscht, sondern auch außer Kraft gesetzt wurden. Justizministerin Karoline Sporrer verweist lediglich auf gesetzliche Mindestverpflichtungen und betont Regionalität. Ob die strengeren Vorgaben des naBe weiterhin gelten, bleibt unklar.
Breite Beteiligung im Fachausschuss
Der Fachausschuss, der seit Ende 2024 arbeitet, ist breit aufgestellt: Neben allen Ministerien sind auch die Bundesbeschaffung GmbH, die AGES sowie das Forum „Österreich isst regional“ beteiligt. Bis Ende 2025 soll die Überarbeitung abgeschlossen sein, danach entscheidet die Bundesregierung im Ministerrat über die neuen Vorgaben.
Der offizielle Anspruch lautet, „qualitativ hochwertige Lebensmittel, kurze Transportwege, mehr Tierwohl und Saisonalität“ zu berücksichtigen. Doch gleichzeitig wird betont, dass sich die Kriterien „an Verfügbarkeiten“ orientieren müssen – ein Signal, das bei Bio- und Tierwohlbetrieben für Verunsicherung sorgt.
Konsequenzen für die Landwirtschaft
Für Österreichs bäuerliche Betriebe geht es nicht nur um politische Details, sondern um handfeste wirtschaftliche Perspektiven. Wer in Tierwohlstallungen investiert oder auf Bio umgestellt hat, braucht Planungssicherheit. Wenn öffentliche Einrichtungen als Großabnehmer weniger strenge Vorgaben umsetzen, geraten diese Betriebe ins Hintertreffen.
Regionalität und kurze Wertschöpfungsketten – eigentlich erklärte Ziele des naBe – könnten so unter Druck geraten, während günstigere Massenware leichter den Zuschlag erhält.
Kniefall vor den Konzernen oder notwendige Vereinfachung?
Ob es sich bei der Überarbeitung um eine dringend nötige Straffung der Kriterien oder um eine politisch motivierte Aufweichung handelt, bleibt vorerst offen. Fakt ist: Viele Antworten aus den Ressorts bleiben vage, Zuständigkeiten werden hin- und hergeschoben, und wichtige Details liegen noch im Dunkeln.
Klar ist nur: Die endgültige Entscheidung fällt im Ministerrat. Dort wird sich zeigen, ob Österreich bei der nachhaltigen Beschaffung weiterhin auf hohe Standards setzt – oder ob Bio, Tierwohl und regionale Produkte im politischen Alltag an Gewicht verlieren.
Autorin: Tanja Braune